Vom Schreibtisch des Chronisten

Notiz:

Man hat mich beauftragt, eine Chronik der Stadt Alsuna zu verfassen. Nichts fällt mir schwerer als das. Ich könnte überall beginnen. Was ist Alsuna? Sind es die Menschen, sind es die Mauern, ist es seine Geschichte? 300 Jahre ist Alsuna alt. Es gäbe so vieles zu erzählen. Doch was ist wahr? Welchem der unzähligen Zeugen kann ich glauben? Wenn ich eines gelernt habe, dann das: In dieser Stadt gibt es alles. Es gibt nichts, wofür in Alsuna kein Platz wäre. Jede Lebenseinstellung, jeder Baustil, jede Ernährung, jeder Glaube – du findest es in dieser Stadt. Du musst nur wissen, an welcher Stelle du zu suchen hast. Ein Reich für Entdecker, das ist Alsuna.

Vielleicht habe ich mit dieser Feststellung meinen Auftrag bereits erfüllt. Ich habe niedergeschrieben, was diese Stadt von allen anderen unterscheidet. Und doch habe ich noch nichts geschrieben. Was soll ich auch schreiben? Ich schätze, zunächst sollte ich einmal sammeln. Hier also die Dokumente, die mir für die Erstellung einer Chronik eine wichtige Grundlage sein werden. Im Laufe der Zeit werden es sicher mehr.

Dokument 1: Baldurien und seine Städte (ein Extrakt aus dem Reisetagebuch des berühmten Wandersängers Degenar)

Notiz: Degenars Zeichnung ist nicht so wohlig geraten wie seine Beschreibung. Er ist eben doch ein Musiker ...

  • KORTÉSSA ist eine Metropole mit guter Meereslage und kühlem Klima. Fischerei und Handel haben der Stadt zu Reichtum verholfen. Bekannt ist Kortéssa aber auch für seine zahlreichen Gebildeten, die den kulturellen Austausch mit anderen Kontinenten voranbringen. Die Intellektuellen sind es auch, die den Senat bestimmen und stets die „Vernunft“ zu ihrem wahren Herrscher ausrufen.
  • ESTIA ging einst aus Kortéssa hervor. Darum ähnelt die Stadt kulturell ihrem Vorbild. Allerdings wird den Estianern die Arroganz nachgesagt, ihre kulturellen Ideale anderen Städten in Baldurien überstülpen zu wollen. Unterschwellig scheint der Wunsch nach Dominanz seit Stadtgründung nicht wegzuleugnen. Das zeigt sich einerseits in den äußerst prachtvollen Bauten, andererseits in der ungeheuren militärischen Stärke Estias.
  • FAIZA besitzt keine geografischen Vorteile, hat aber als Bindeglied zwischen den Berg- und Meeresstädten dennoch eine zentrale Bedeutung. Dementsprechen ist die Stadt auf Handel spezialisiert. Den größten und berühmtesten Marktplatz, den „Gula Rubens“, findet man an diesem Ort. In Faiza zu leben kann äußerst unangenehm sein, wenn man nicht eine natürliche Gabe hat, andere über den Tisch zu ziehen. Und wer es als ungerecht ansieht, dass die Geschicke der Stadt hauptsächlich von reichen Kaufleuten gelenkt werden, sollte ebenfalls einen Bogen um Faiza machen.
  • GHAZAL besitzt geografisch eine günstige Lage. Alle nötigen Ressourcen sind in unmittelbarer Nähe vorhanden. Es lebt sich angenehm in Ghazal und man ist so mit sich zufrieden, dass es nur wenige Handelsbeziehungen zu anderen Städten gibt. Fischerei und Seefahrt sind sehr verbreitete Berufe. Man bevorzugt das einfache Leben mit wenig Regeln und Struktur. Eine gewisse Neigung zur Anarchie und Freizügigkeit ist den Ghazalern nicht abzustreiten. Der Alkohol hat‘s vielen hier angetan.
  • AFAF definiert sich bewusst in Abgrenzung zu Ghazal. Vor vielen Jahren wanderte eine Gruppe strenger Tugendwächter aus Ghazal aus, weil sie nicht mehr daran glaubte, ihre Stadt zur Ordnung zurückzuführen. Sie siedelte sich in fruchtbarem Gebiet an, das aber harte Arbeit und eine strenge Mentalität erforderte. Diese Lebenshaltung führte zu einer gewissen Selbstzufriedenheit der Einwohner und verhinderte den kulturellen Austausch mit anderen Städten. Wer noch nie einen mörderischen Blick gesehen hat, sollte einmal in Gegenwart eines Bewohners von Afaf ein schmutziges Schimpfwort fallen lassen.
  • CEILÍ nennt man das Gebiet im Reimut-Gebirge, in dem sich unzählige Dörfer verstecken. Fast könnte man meinen, jedes Dorf habe eine ganz eigene Tradition, die Jahrhunderte zurückreicht. Unbestritten ist, dass die Einwohner dieser Gegend wissen, wie man unter den schweren klimatischen Bedingungen lebt. Ihre Nähe zur Natur und ihre Liebe zum „lebenden Gebirge“ lassen die Völker eng zusammenhalten. Und doch zanken sie sich häufig wie kleine Kinder – durchaus mit vernichtenden Folgen.

 

Weitere Dokumente werden folgen ...